„Wir verkaufen uns an die Digitalisierung“

„Online kaufe ich nur vermeintlich günstiger ein, langfristig zahlen wir alle drauf“, ist Wolfgang Frick überzeugt. 

Ihr neues Buch versteht sich als Mutmacher für den Einzelhandel. Entspricht das Bild der sterbenden Innenstädte nicht der Realität?
Leider doch. Es wird nicht so extrem sein, dass die Innenstädte gänzlich aussterben. Aber es gibt schon klare Signale. Und die sind gefährlich, weil das Image leidet. In so einer Situation tust du dir zum Beispiel schwer, geeignete Nachfolger zu finden. Oder gutes Personal. Die Abwärtsspirale hat sich längst zu drehen begonnen.

»FEHLER SIND ZUM TEIL HAUSGEMACHT.«
Wolfgang Frick

Schuld daran ist online?
Da machen wir es uns zu einfach. Fehler sind zum Teil hausgemacht. Ein Beispiel für viele: Es gibt immer mehr Verkehrsberuhigung, weniger Parkplätze und das ist Gift für den Handel. Weil Parkplatz heißt Umsatz. Anders gesagt, der DHL-Fahrer darf in zweiter Reihe bei laufendem Motor parkieren und die Ware zustellen, selber werfen wir uns Prügel vor die Füße.

Was kann der Händler selber tun?
Ich vermisse das Gemeinsame – viele nehmen den Begriff Einzelhändler zu wörtlich. Und vergessen dabei, was sie großgemacht hat.

Wo ließe sich da der Hebel ansetzen?
Öffnungszeiten angleichen, gemeinsame Wartungsverträge, Lagerhaltung, gemeinsamer Einkauf – die Liste lässt sich unter dem Motto „better together“ noch lange fortsetzen. Jeder hat das gleiche Problem und jeder probiert es für sich alleine zu lösen. Das kostet unnötig Zeit, Geld und Nerven. Gruppendynamik kann viel bewirken: Kann man zum Beispiel einmal ein Latenight-Shopping machen, um die Öffnungszeiten aufzulockern? Oft sagt man schnell, dass online schuld ist. Aber fürs eigene Unvermögen kann online nichts dafür.

Was kann der stationäre Handel, was online nicht kann?
Ich weiß schon einmal, was ich bekomme. Bei online bin ich mir nicht sicher, ob eventuell eine Retoure in meinem Päckchen landet. Der Online-Handel hat keinen Augenkontakt, er kann meine Reaktion nicht abschätzen und bei der Beratung berücksichtigen. Und vor allem passiert beim stationären Handel alles in Echtzeit: Ich kann die Ware in den meisten Fällen sofort mitnehmen. Ich werde gut beraten, habe kurze Wege, wenn ich etwas zurückgebe oder reklamiere. Man kann jedes Produkt haptisch anschauen, begreifen, probieren. Das geht online alles nicht. 

Welche Strategien sollte der Einzelhandel befolgen?
Man sollte mal mit den Augen des Kunden auf sein Geschäft zulaufen. Es fängt schon mit der Beschilderung an. Findet man mich überhaupt? Wie wird der Kunde empfangen? Ich kenne viele Läden, da ist die Anzahl der Verbotsschilder größer als die Anzahl der Mitarbeiter. Hab‘ ich ein Schaufenster oder nur ein Fenster? Ist da etwas drinnen, das den Kunden anspricht? Thema Öffnungszeiten: Bin ich für meine Kunden da, wenn sie mich brauchen? Wie ist der Laden von innen? Ist er gut beleuchtet oder ähnelt er eher einer Gruft? Hintergrundmusik? Wie sind die Farben, wann hab‘ ich das letzte Mal gemalt? 

Welche Rolle spielt der Mensch?
Das Personal ist für mich der entscheidende Faktor. Leider war ich schon in vielen Geschäften, wo die Kassabildschirme das einzige waren, das gestrahlt hat. Und wenn jemandem nicht zum Lachen zu Mute ist, dann kann er auch nicht verkaufen. Das merkt der Kunde sofort. Personal ist das Um und Auf. Mit einem Lächeln den Kunden begrüßen, unaufdringlich beraten, nicht mit aller Gewalt verkaufen wollen – da steckt ganz viel Potential drinnen. 

Emotionen als Schlüssel zum Erfolg?
Wie heißt es so schön: You can never mail a handshake.

In Ihrem Buch wird der Serviceaspekt sehr stark herausgehoben. Auch hier kann der stationäre Handel punkten, oder?
Definitiv. Den Service muss man jeden Tag neu erfinden. Es wird heute nur noch automatisch dunkel und sonst nichts mehr. 

Was verstehen Sie unter gutem Service?
Jeder definiert das anders. Für den einen ist guter Service, wenn der Kunde bei Regen zum Auto begleitet wird und er trockenen Fußes einsteigen kann. Für den anderen ist es ein sinnvolles Goodie, das man bei einem Kauf dazu bekommt. Für den Dritten ist es ehrliche und kompetente Beratung. Wahre Größe zeigt sich übrigens oft in Kleinigkeiten. Vor kurzem habe ich in einer Trafik für 50 Euro Zeitungen gekauft und musste für die Tragtasche extra bezahlen. Gedanklich sollte man als Unternehmer immer zuerst etwas geben, bevor der Kunde etwas gibt. Und man sollte auch nicht alles zu Geld machen wollen.

Ein Satz aus dem Buch: Man muss Menschen mögen.
Ganz genau. Und darum brauchen wir mehr Mitarbeiter und weniger Abarbeiter. Naturtalente, die den Menschen lesen können. Leider ist es oft so, dass man mit großartigen T-Shirts herumläuft, auf denen „Wir sind gerne für Sie da“ steht. Und wenn du dann als Kunde einen Schritt aufs Personal zumachst und was fragen willst, setzt der Copperfield-Effekt ein: Alle sind wie weggezaubert. Wenn ich Menschen nicht mag, kann ich sie nicht begeistern. Dann ist mein Blick tödlich, wenn jemand kurz vor 18 Uhr noch ins Geschäft kommt.

»DAS PERSONAL IST FÜR MICH DER ENTSCHEIDENDE FAKTOR.«
Wolfgang Frick  

Wenn Sie in die Zukunft schauen. Wohin wird sich der Handel entwickeln?
Ich glaube, dass es eine Renaissance vom Automaten außerhalb der Geschäfte geben wird. Zum Beispiel mit den Sachen, die schnell ausgehen können. Das funktioniert nicht nur mit Lebensmitteln, wo 80 Prozent vom Einkaufskorb immer gleich sind. Bei den Öffnungszeiten wird es in Richtung amerikanischer Verhältnisse gehen: Rund um die Uhr, sieben Tage. Wir werden viel in gute Mitarbeiter investieren. Und Convenience wird immer wichtiger: Wie kann ich dem Kunden das Einkaufen so angenehm wie möglich machen? Wie kann ich helfen, Zeit und Wege zu sparen. Während ich einkaufe, werden mir die Reifen gewechselt. Wenn ich auf die Änderung warte, wird noch Maniküre oder Haare schneiden angeboten – ein paar beliebige Beispiele für ganz viele Möglichkeiten, an die wir noch gar nicht denken. Neue Shopformate werden kommen, der Buchhändler wird sich mit dem Reisebüro zusammentun, ganz andere Kombinationen von Geschäften werden entstehen. Das wird alle fordern, aber mit Mut und Kreativität ist alles machbar.

Den Wandel als Chance und nicht als Gefahr sehen, eine neue Zeit offensiv angehen? 
Genau. Umsatz kommt vom Umsetzen. Es braucht eine gewisse Risikobereitschaft. Aber das größte Risiko ist es, nichts zu tun. Für den Handel liegen viele Bälle am Elfmeter, aber schießen muss jeder selber.

»DAS GRÖSSTE RISIKO IST ES, NICHTS ZU TUN.«
Wolfgang Frick

Was sind die größten Schwachstellen der Online-Händler?
Beratung, ständig wechselnde Preise, Lieferzeiten, Versorgungssicherheit, Probleme mit Retouren. Nicht unterschätzen darf man die Datensicherheit: Wir geben sensible Informationen weiter und die ganzen großen Unternehmen haben ihre Server überall, nur nicht in Europa. Und ganz entscheidend: Auf einem kleinen Bildschirm schauen viele Dinge anders aus als in der Realität.

Welche Rolle spielt das Thema Nachhaltigkeit? Ist das ist ein Punkt, der dem stationären Händler in die Karten spielt?
Absolut. Herkunft hat Zukunft. Kurze Transportwege sind ein Faktor. Und wenn das Plastikverbot kommt bin ich gespannt, wie Online die Dinge verschickt. Das ganze Füllmaterial ist aus Plastik und wenn es nachher aus Maisstärke ist, bin ich mir nicht sicher, wie es mit dem Verpackungsschutz ausschaut. 

Nachhaltig denkende Konsumenten kaufen offline?
Online ist von der CO2-Bilanz her eine Katastrophe. Wir verkaufen uns an die Digitalisierung und vergessen, wer die Lehrlinge ausbildet, wer sich im gesellschaftlichen Leben vor Ort engagiert, wer den Fußballverein und die Feuerwehr unterstützt, wer in der Gemeinde Steuern bezahlt. Online kaufe ich nur vermeintlich günstiger ein, langfristig zahlen wir alle drauf.