acquisa: In Ihrem Buch schreiben Sie über den »Patient Marke«. Woran leidet er denn?
Wolfgang Frick: Er leidet unter Alzheimer, vergisst einfach die Erfolgsmuster und wofür die Marke steht. Anstatt Wunden ausheilen zu lassen, wird mit alten Mullbinden die noch blutende Wunde neu verbunden. Das heißt: Marken kennen ihre Stärken zu wenig, liegen im Wachkoma. Fehlende Innovationskraft und Preiskampf tun ihr Übriges dazu.
acquisa: Was macht Marke denn aus?
Frick: Drei Dinge machen eine Marke aus: Vertrauen, Vertrauen und Vertrauen. Qualität und Service sind Markenimplizit. Marken begeistern auf allen Ebenen und enttäuschen nicht. Echte Marken sind selten. Sie bieten einen Mehrwert und sind relativ Preis-unsensibel. Das wichtigste aber ist: Marken müssen wachsen und entstehen langfristig – wie eine Beziehung. Oft meint man, eine (Preis-) Promotion mache oder sei schon eine Marke. Das differenzierende Element prägt eine Marke ebenso wie das Setzen von Grenzen. Marken müssen nicht alles können, aber die Erwartungshaltung des Käufers erfüllen, ja sogar übertreffen. Spätestens, wenn eine Marke kopiert wird, ist sie tatsächlich eine.
acquisa: Wann ist eine Marke eine Marke?
Frick: Die Assoziation und Emotion, welche bei Betrachtung des Logos ausgelöst werden, machen eine Marke. Ein Logo alleine ist noch keine Marke. Eine Marke ist wie der beste Freund: ehrlich, treu und einfach unverzichtbar. Und ein guter Freund steht auch als erster auf der Einladungsliste. Bei Marken ist es ähnlich. Auf der Gedächtnisleiter im Gehirn des Konsumenten steht das Produkt eines bestimmten Unternehmens in einer bestimmten Kategorie (= Marke) an erster Stelle. In der Königsklasse der Marken spielt man dann, wenn die Kategorie nach der Marke benannt wird. Ich sage jetzt keine Marken-Namen, aber was fällt Ihnen denn spontan ein wenn Sie an einen Energy-Drink, ein Papiertaschentuch, einen Klebstoff oder an Kaffeekapseln denken? Das sind absolute Triple A-Marken. B- und C-Marken bereichern oder vervollständigen eine Kategorie, sind aber weit weg vom Anspruch eines »Market-Maker«. Marken schaffen also nicht nur Wert, sondern auch Märkte und haben eine sehr große Wiederkaufrate durch Stammkunden. B- und C- Marken haben Wechselkäufer und werden meistens dann bevorzugt, wenn am Ende des Geldes noch Monat übrig bleibt – also meistens, aber nicht immer, aus Gründen des Preises.
acquisa: Welche Rolle spielt die Marke für den Erfolg eines Unternehmens?
Frick: Eine sehr große. Unternehmen werden oder bleiben krisenresistenter. Es besteht kein Zwang, sich ausschließlich über den Preis zu definieren. Personal- Ressourcen sind am Arbeitsmarkt leichter zu akquirieren – Jobs bei Marken sind gefragte Arbeitsplätze. Marken spiegeln Werte wider. Diese Werte lassen sich auch monetarisieren und sichern somit den langfristigen Unternehmenserfolg. Mit dieser Wertanlage lassen sich dann Investitionen leichter rechnen. Marken positionieren ein Unternehmen und geben ein klares Statement ab. Das macht es auch erheblich leichter, auf den Beschaffungs- und Kapitalmärkten erfolgreich tätig zu sein.
acquisa: Der Patient Marke ist krank, das steht für Sie fest. Aber gibt es ein einheitliches Krankheitsbild? Und eine allgemeingültige Therapie?
Frick: In vielen Fällen ist das Krankheitsbild tatsächlich ähnlich: Fehlende Positionierung, falsche Zielgruppen- Ansprache oder Unkenntnis der Zielgruppen, nur Preis- und keine Markenbotschaften – das sind die häufigsten Mängel. Mit einem einheitlichen Rezept sind diese Marken nicht zu therapieren, da die Ursache nicht immer dieselbe ist. Man versucht von den Besten zu lernen und deren Erfolgsmuster auf die eigene Marke anzuwenden. Das ist fatal. Jede Marke hat einen anderen Ursprung, eine andere Herkunft. Die Zutaten für das Rezept müssen in zum Teil mühevoller Eigenarbeit selbst für die eigene Marke gefunden werden.
acquisa: Markenführung – das ist ureigene Aufgabe des Marketing, denkt man. Oder greift dieser Ansatz zu kurz?
Frick: Wenn Marketing wirklich von »Marke-ting« abgeleitet wird, meine ich Ja. Ergänzt um die systematische Anwendung von Denkvermögen. Zu einem bestimmten Produkt gibt es einen rechnerischen Preis, und um diesen Preis ist es an diesem Place absetzbar. Jeder Place braucht eine andere Promotion. Besinnt man sich der richtigen Reihenfolge der 4 P’s (und vier reichen – es braucht kein fünftes und sechstes P). Diesen Ansatz der Fragestellung würde ich als kleinsten gemeinsamen Nenner bezeichnen.
acquisa: »Ohne Philosophie ist das Marketing verloren«, sagen Sie. Entstehen da neue Arbeitsplätze für Philosophie- Absolventen?
Frick: Ich bin zwar kein Philosoph, aber wörtlich übersetzt ist es ja die »Liebe zur Weisheit«. Somit ist jeder mit Weisheit gesegnete Absolvent im Marke-ting herzlich willkommen. Weisheit in diesem Zusammenhang sehe ich als die Lehre von der Begeisterung des Kunden. Wer das verstanden hat, braucht nicht unbedingt studiert zu haben.
acquisa: Schon ein schlechtes Erlebnis an einem beliebigen Kontaktpunkt kann eine Marke für einen Kunden irreparabel beschädigen. Wie schaffen es Unternehmen, diesen Gedanken allen Mitarbeitern so nahe zu bringen, dass sie sich dessen immer bewusst sind? Was macht Kundenorientierung lebendig?
Frick: Einerseits ist es die Kenntnis und Bedeutung aller Kontaktpunkte. Oft sind nicht alle bekannt, und deren Wirkung wird unterschätzt. Andererseits kann durch Lernen am Kontaktpunkt – zum Beispiel bei einer Reklamation – der Schaden in Grenzen gehalten werden: Zuerst dem Kunden Recht geben, und dann die Fehlerursache suchen. Oft ist der Kunde Bestandteil der Qualitätssicherung – und das geht nicht. Durch Übertragung der Verantwortung auf jenen (menschlichen) Kontaktpunkt, welcher dem Kunden direkt in die Augen sieht oder am nächsten ist, wird Kundenorientierung lebendig. Wenn Verantwortung wahrgenommen wird – und im Wort VerANTWORTung steht schon die Antwort – sind die Entscheidungswege am Kürzesten: Das Bedürfnis des Kunden wird vom Marken- Gegenüber befriedigt – unabhängig von der hierarchischen Stufe. Marken brauchen Entscheidungs-Fäller auf allen Ebenen – und keine Entscheidungsträger.
acquisa: Und wo kommen all die Menschen her, die »Marke-ting« betreiben können?
Frick: Sehr gute Frage. Ich habe ja die provokante These »Marketing – viele verstehen etwas darunter, ganz wenige etwas davon« an den Beginn meines Buches gestellt. An sich ist die Marketing- Abteilung die größte in jedem Unternehmen, jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter ist Architekt der Marke und trägt so zum Gesamtbild bei. Ist sich dessen jeder bewusst und diese Philosophie wird von ganz oben getragen, werden aus vielen »Darunter-Versteher« automatisch »Davon-Versteher«.