Herr Frick, Sie haben einen Bestseller mit dem Titel «Online ist schlagbar» geschrieben, der gerade in die zweite Auflage geht. Soeben wurde bekannt, dass Manor sehr viele Mitarbeitende entlassen muss, nicht zuletzt wegen der Onlinekonkurrenz. Ist Ihre These nicht «Prinzip Hoffnung»?

Handelsentwicklung ist und war immer schon ein Abbild der Gesellschaftsentwicklung. Der stationäre Handel musste sich im Wandel der Zeit immer wieder neu erfinden. Das sollte auch heute gelingen können. Die Hausaufgaben müssen bezüglich Verkaufsfläche und -gestaltung gemacht werden, egal, in welcher Branche. Ich halte nicht viel davon, ausschliesslich den Onlineverkauf für ein Scheitern im stationären Handel verantwortlich zu machen – das greift zu kurz. Der Kunde sucht primär einen Nutzen – und nicht das Produkt. Wenn ich diesen Nutzen stationär nicht bieten kann, treibe ich die Kunden auf Onlineportale. Das Onlineangebot kann ein Mitgrund für das Scheitern im stationären Bereich sein, aber meines Erachtens ist es nicht das ausschlaggebende Argument. Ich kenne genügend Beispiele, wo Händler von Online wieder auf Offline umgestiegen sind.

Was muss man beherzigen, um sich gegen die Onlinekonkurrenz behaupten zu können? Gibt es ein Patentrezept? Mit dem richtigen Konzept, gut und leiden schaftlich umgesetzt, ist online schlagbar. Dabei handelt es sich jedoch nicht um ein Patentrezept, das für alle gilt, sondern um eines, das auf das jeweilige Unternehmen und seine Kundschaft zugeschnitten ist. Und wie beim Kochen kommt es auf die Zutaten an: Erst die richtige Mischung und die richtige Würze vermögen den Kunden zu begeistern. Man muss seine Hausaufgaben zudem jeden Tag aufs Neue sorgfältig erledigen: Es empfiehlt sich beispielsweise, mit den Augen und in den Schuhen des Kunden den eigenen Laden zu betreten. Findet man mein Geschäft überhaupt? Wie einladend oder ausladend wirkt meine Fassade oder mein Schaufenster? Sind Kundenparkplätze vorhanden – gratis und einladend? Stimmen meine Öffnungszeiten mit den Bedürfnissen der Kunden überein, oder entsprechen sie jenen von vor zehn Jahren? Welche Atmosphäre versprüht mein Geschäft? Fühlt sich der Kunde herzlich willkommen? Wie ist die Beleuchtung im Verkaufsraum? Gibt es dezente Musik im Hintergrund? Wie unaufdringlich verhält sich mein Verkaufspersonal? Sucht und führt es den Dialog mit dem Kunden? Ist mein Sortiment übersichtlich präsentiert, die Preisauszeichnung gepflegt und die Beratung vorhanden? Das klingt alles nicht neu. Es sind die einfachsten Grundlagen im Einmaleins des kleinen Kaufmanns. Dennoch werden sie selten umgesetzt. Bei meinen Einkäufen komme ich oft in Geschäfte, wo nur der Kassenbildschirm strahlt – alles andere ist zum Vergessen. Convenience lautet das Gebot der Zukunft: Spar dem Kunden Zeit und Wege, hol ihn mit seinen Bedürfnissen ab!

Sie plädieren dafür, dass der Handel «griffiger » werden soll. Was heisst das konkret? Nichts anderes als eine messerscharfe Positionierung. Wofür steht mein Geschäft überhaupt? Viele Geschäftsmodelle sind austauschbar und bieten mehr oder weniger das Gleiche an. Bei Spar setzen wir auf Frischeprodukte und täglich frisch produzierte gesunde Mahlzeiten zum Direktverzehr. Bei TopCC finden die Kunden beste, auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Produkte und geniessen auch im Grossmarkt eine von Herzlichkeit geprägte Einkaufsatmosphäre. Der Kunde sollte sich auf ein Einkaufserlebnis freuen können und Schwerpunkte im Sortiment erkennen – das ist das eine. Das andere: Naturtalente im Verkauf sind gefragt. Kunden lechzen nach Beratung und möchten berührt werden – nicht geschüttelt.

Sie selbst sind Marketingchef bei Spar. Wie gehen Sie mit der Onlinekonkurrenz um? Als Geschäftsleiter Marketing und Sortimentsmanagement bin ich tagtäglich mit dieser Herausforderung konfrontiert. Onlineberater kontaktieren einen immer wieder und versprechen das Heil im Internet. Zusammen mit dem eigenen latenten Wunsch nach mehr Präsenz im Onlinegeschäft kann man sich da leicht zur naheliegendsten, aber nicht immer erfolgreichen Lösung verleiten lassen. Wenn man die eigenen Stärken seiner Marke kennt, lässt man sich aber nicht so schnell verführen. Bei Spar bewegt sich die Onlinekonkurrenz vor allem im Bereich der Nicht-Lebensmittel.

Lohnt es sich für einen Einzelhändler, einen eigenen Onlineservice anzubieten, oder hat man gegen die Grossen wie Zalando oder Amazon gar keine Chance? Die Erfolgsrechnung, ob es sich lohnt, ist produkt- und standortabhängig. Früchte und Gemüse sind online schwerer zu verkaufen als beispielsweise Bücher. Die grösste Gefahr eines Onlineservices liegt darin, dass sich die Fixkosten verdoppeln durch die Bewirtschaftung von zwei Verkaufskanälen. Die Umsätze können aber nur marginal gesteigert werden, im schlimmsten Fall stagnieren sie oder sind sogar rückläufig. Hier gilt für mich der Grundsatz: Das Beste aus beiden Welten kombinieren. Online bestellen und offline abholen, Click & Collect, im Laden bestellen und nach Hause liefern lassen. Die Antwort kann nicht pauschalisiert werden und ist konkret vom Einzelfall abhängig. Gegen die genannten grossen Onlinehändler wird man keine Chance haben, solange die Steuerharmonisierung fehlt (Anmerkung: Allein der EU entgehen pro Jahr 70 Milliarden Steuereinnahmen durch Sonderbehandlung der Onlineriesen) und ungleiche Arbeits- und Anstellungsbedingungen existieren.

Bei den Medien hofft man immer noch, dass das Pendel zurückschlägt und wieder Printprodukte gefragt werden. Gibt es im Detailhandel auch solche Retro-Bewegungen? Im Bereich der einzelnen Sortimente auf jeden Fall. Viele Produzenten trumpfen mit Wolfgang Frick, «Online ist schlagbar», Verlag Frankfurter Allgemeine, 2. Auflage. Das Buch Retro-Verpackungen, bezeichnen Produkte als «wie früher», denn der Kunde sucht vermehrt das unverfälschte Geschmackserlebnis. Bei Spar verkauft sich zum Beispiel die Produktlinie «Schellen-Ursli» sehr erfolgreich. Sie erinnert an die Ursprünglichkeit und die Naturbelassenheit von anno dazumal, sie vermittelt Halt und Orientierung in der vom Überfluss geprägten Handelslandschaft.

Was eignet sich für den Offlinehandel, und was ist definitiv ans Internet verloren? Sämtliche Produkte, die wenig beratungsintensiv sind, denen jegliche Romantik beim Einkauf fehlt, deren Vergleichbarkeit gegeben und bei denen der Bedarf abschätzbar ist, haben es im stationären Handel schwer, wie zum Beispiel Druckerpatronen, Entkalker, Geschirrspültabs. Hier gibt es bereits geniale Abo-Lösungen, die natürlich auch stationär angeboten werden könnten. Bücher sind ja im Onlinehandel «gross geworden ». Aber auch hier gibt es Chancen für den stationären Handel. Produkte mit unterschiedlichen optischen und haptischen Eigenschaften kaufen die Konsumenten nach wie vor häufig lieber offline. Das Auge sitzt vor dem Verstand: Man möchte sehen, begreifen und sofort kaufen.

Anhänger des traditionellen Handels – und auch Sie in Ihrem Buch – erwähnen immer wieder den Begriff «Einkaufserlebnis». Ist dies nicht ein bisschen Nostalgie? Setzt der heutige Kunde nicht auf Bequemlichkeit und vor allem den Preis? Oscar Wilde soll bereits im 19. Jahrhundert gesagt haben: «Kunden kennen von allem den Preis, aber von nichts den Wert.» Daran hat sich bis heute nichts geändert. Kunden, die man über den Preis gewinnt, verliert man auch wieder über den Preis. Wenn der Preis das einzige Argument ist, welches ich dem Kunden bieten kann, dann geht es auch online. Deshalb glaube ich an eine Renaissance des Handels, eben durch echte Einkaufserlebnisse mit allen Sinnen. Bequemlichkeit inklusive.

Wie sieht der Schweizer Detailhandel in fünf Jahren aus? Wird der Onlinehandel weiter zunehmen? Nachhaltig denkende Kunden kaufen offline. Ich glaube, das Kundenbewusstsein, im Ort nach dem Motto «Herkunft hat Zukunft» einzukaufen, wird ausgeprägter werden. Plastikverbot, Verkehrsüberlastung, drohende Steuerharmonisierung, das grosse Thema der Nachhaltigkeit insgesamt machen es dem Onlinehandel künftig schwerer. Popup- Stores werden zunehmen, und auch Onlineriesen werden Produkte stationär anbieten. Der Detailhandel – so sagt es der Name schon – wird sich noch mehr im Detail um den Kunden bemühen und sich auf seine ureigensten Stärken (rück-)besinnen müssen. Online wird in Retouren untergehen. Es kommt zu einer digitalen Ermüdung.

«Mit unserer Positionierung ‹Auf gute Nachbarschaft› haben wir unsere Nische gefunden.»


Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Ihre eigene Familie absolut typisch und repräsentativ für die heutige Gesellschaft sei. Wie sieht bei Ihnen das Einkaufsverhalten aus? Auf diese Frage habe ich gewartet (lacht). Die Jugend ist eher online unterwegs, wir «Oldies» eher konventionell und stationär. Wir versuchen, unseren Kindern jedoch zu erklären, dass nicht alles, was online ist, gut und nachhaltig sein muss. Die Erfahrung müssen die Kinder selbst machen. Es gab schon einige negative Erfahrungen wie gebrauchte Artikel, eigenartiges Füllmaterial oder versprochene Liefertermine, die nicht eingehalten wurden. ANZEIGE Wenn immer möglich, plädieren wir für die Wichtigkeit des stationären Handels, der auch das gesellschaftliche Zusammenleben beeinflusst. Sonst überleben eines Tages nur noch die Coiffeure im Dorf – solange man online noch keine Haare schneiden lassen kann (schmunzelt).

Noch ein Wort zu Spar. Im Ausland ist Ihr Unternehmen sehr bekannt, in der Schweiz weniger. Wie sieht die Spar-Schweiz-Strategie zwischen Migros, Coop, Aldi und Lidl aus? Wo sehen Sie Ihre Nische? Spar ist mit seiner Präsenz in 50 Ländern der Welt die grösste freiwillige Handelskette. Obwohl wir letztes Jahr bereits unser 30-Jahr- Jubiläum gefeiert haben, kennen und schätzen uns vor allem «Insider und Liebhaber». Mit unserer Positionierung «Auf gute Nachbarschaft » haben wir unsere Nische gefunden und als klassischer Quartierläden auch besetzt. Als Vollsortimenter mit Marken und Eigenmarken schwören wir auf Konzept-vor- Preis-Marketing: Regionale Nostalgieprodukte wie Schellen-Ursli, frisch gebrühter Bean-Tree-Kaffee an Selbstbedienungstheken, täglich zubereitete kleine Mahlzeiten zum Direktverzehr (Fresh to Go), hochwertiges Schweizer Fleisch und internationale Topspezialitäten, ergänzt mit feinen Saucen und Zutaten (Meat & More), vegetarische und vegane Produkte aus nachhaltigem und biologischem Anbau (Spar-Natural) – um nur einige zu nennen – sollen den Einkauf für unsere Kunden zum täglichen Erlebnis machen.