Der olympische Gedanke gilt: Schneller, weiter, höher, besser und vor allem billiger. Nur dabei zu sein, ist zu wenig. Kunden kennen von allem den Preis, aber von nichts mehr den Wert. Wir reden von einer Zuvielisation und davon, dass der Überfluss den Mangel abgelöst hat. Wie begegnet der Handel und insbesondere der Detailhandel dieser nicht unbedingt neuen Herausforderung? Ist es ausreichend, einfach nur eine Agentur zu engagieren und so die Problemlösung zu delegieren? Ein Erklärungsversuch.
«Wenn man nicht mehr weiter weiss, dann gründe man einen Arbeitskreis», heisst es salopp im Büroalltag. Wenn interne Lösungsversuche scheitern oder der Glaube daran fehlt, wird gerne Agenturhilfe in Anspruch genommen. Frag mal die Agentur als letzte Hoffnung – so ähnlich wie «Harry, fahr schon mal den Wagen vor». Der Begriff Agentur mit Betonung auf «Agent» ist dabei umfassend und sehr weitläufig. Jeder hat seine eigene Vorstellung im Kopf. Es gibt Werbe-, Media-, Presse-, Casting-, Event-, Sport-, Online-, Offline-Agenturen … Es gibt für alles eine Agentur.
Aufgrund dieser Artenvielfalt ist es wie im Zirkus. Das ganze Programm wird vorgeführt, alle Kunststücke werden gezeigt und die Vorstellung dauert viel zu lange. «AD, CD, keine Idee.» AD steht für Art Director und CD für Creative Director. Der Agenturkunde ist überfordert und weiss erst recht nicht, was er machen soll, um die eigene Marke zu schärfen. Agenturen fehlt es zum Teil am Fokus, sie begreifen sich selbst zu wenig als Marke – und das überträgt sich auf deren Kunden.
Applaus bleibt oft aus
Agenturen, die alles können, gibt es nicht. Es sind auch immer mehr akrobatische Einlagen notwendig, um den Endkunden noch für seine Leistung zu begeistern. Der Applaus – sprich Umsatz – bleibt meistens aus und man senkt die Eintrittspreise. Und das ist genau der falsche Weg. Konsequente Markenführung heisst das Zauberwort. Klingt einfach, wirkt aber erst langfristig. Deshalb ist der Erfolg in Zahlen nicht sofort messbar. Es gibt nämlich zu viele Werbe- und zu wenige Strategieagenturen, die gleichzeitig die Kommunikation beherrschen.
Deshalb ist der Agenturmix entscheidend. Es gibt für alles eine Agentur, aber man braucht nicht für alles eine. Alles aus einer Hand ist nicht ideal, genauso wie eine zu breite Streuung. Agenturkonkurrenz untereinander kann dann leicht pathologisch werden. Man zeige ein Konzept der Agentur A der Agentur B und man weiss, was gemeint ist. Agenturarbeit ist wie Kindererziehung: Bei anderen wissen wir es immer besser. Agenturen sind besser im «Verurteilen» als in der Eigenkreation. Das hilft dem Handel überhaupt nicht.
Folgende Alltagsszene: Man brieft die Agentur und erhält mehr Vorschläge als gewünscht. Wieso? Diese Frage stellt sich einem regelmässig. Bekanntlich kann unser Gehirn nicht absolut entscheiden. Wir brauchen immer eine Relation zu etwas. Besser, schöner als. Vor allem wird noch in langen Einleitungen erzählt, was der Kunde in diesem Entwurf, in dieser Kampagne, in diesem Sujet – egal was – sehen soll. Anstatt die Interpretation dem Endkunden zu überlassen. Somit sind viele Entscheidungen relativ und selten absolut zur Marke. Agenturen zeigen mehr als sie müssten und weniger als sie könnten. Marken wachsen von innen nach aussen – und nicht umgekehrt.
Zu den unaufgeforderten Vorschlägen, auch Agenturempfehlung genannt, erhält man dann noch ein todsicheres Konzept dazu, wie es umgesetzt werden soll. Aus Studien der GfK wissen wir, dass 70 Prozent aller Innovationen Flops sind und 60 Prozent davon aufgrund eines schwachen Marketingkonzeptes. Hier lässt sich der Handlungsbedarf klar ableiten und Agenturen mutieren vom Geburtshelfer tatsächlich zum Pathologen.
Vorstellungskraft ist wichtiger als Wissen. Und Bilder vermitteln ist eine Kunst, die Agenturen perfekt beherrschen. Wie in einem Kaleidoskop. Daraus entsteht die Diskrepanz zwischen dem, was der Kunde will, und dem, was die Agentur bietet. Ein schwieriges Unterfangen, das nur auf Vertrauensbasis über mehrere Jahre wachsen kann. Agenturen sind Markenentwickler und keine Markenbegleiter. Am besten man gibt der Agentur ein Ruder in die Hand, somit geht es gemeinsam vorwärts in die richtige Markenrichtung.
Agenturtauglich sein
Das Auge sitzt vor dem Verstand und genau deshalb werden aus vielen Präsentationen anstatt Konzept- nämlich Geschmacksdiskussionen. Es geht einzig und allein um Markenwirkung. Oft kennen Agenturen den Markenkern und die Marken- DNA überhaupt nicht. Dabei handelt es sich nicht immer um Desinteresse, sondern der Kunde verfügt nicht darüber oder ist diesbezüglich zu wenig offen. Der Kunde muss es zulassen, sonst hat die Agentur keine Chance, die Marke zu gestalten. Der Kunde muss agenturtauglich sein und es auch wollen.
Bekanntlich steht hinter jedem erfolgreichen Mann eine erfolgreiche Frau. Und hinter jeder erfolgreichen Marke steht eine erfolgreiche Agentur, die den Kunden verstanden hat. Das braucht eben seine Zeit. Dinge entwickeln sich nicht von heuteauf morgen. Häufige Agenturwechsel und endloses Pitchen sind nicht die Lösung. Auch auf Kundenseite muss gelernt werden, solchen Versuchungen zu widerstehen.
Daraus entstehen dann zwangsläufig Kampagnen, die nicht nur auf den Preis fokussiert sind. Ein hartes Los – vor allem in der (Detail-)Handelswerbung. Denn die Kampagnen zeigen ihre Wirkung sehr zeitverzögert. Eine Agentur ist Anwalt des Kunden und kennt die Gesetze der Markenführung. Ergo definieren sich Marken nicht über den Preis, sondern über den Mehrwert.
Diesen Mehrwert gilt es in Szene zu setzen. Sei es die Betonung des originären Grundnutzens des Handels – Nahversorgung – Herkunft hat Zukunft – oder durch differenzierende Sortimentsbereiche. Weg(e) von der reinen Preiswerbung hin zum Nutzenversprechen sind zu suchen. Damit ist nicht gemeint, künstliche Bilder in den Köpfen der Endkunden aufzubauen. Die Verkaufsstelle ist der Ort des Einlösens eines im Marketing gemachten Versprechens. Oder anders ausgedrückt: Der Ort der Wahrheit.
Ein derartiges Engagement für die Marke ist ebenso essenziell wie ungewöhnlich. Allzu oft konzentrieren sich die Werbeagenturen darauf, originelle Kampagnen zu entwickeln, ohne darauf zu achten, ob ihre grossen Würfe zu den Realitäten am Verkaufsort passen. Dabei ist nichts fataler, als dort, wo die Marke ihren wichtigsten Auftritt hat, die Erwartungen der Kunden zu enttäuschen. So gesehen wächst die Marke ausnahmsweise von aussen nach innen.
Derjenige, der dem Kunden in die Augen schaut, entscheidet über die Erfüllung des Markenversprechens – und nicht die Agentur. Diesen Kunstfehler begehen wir oft. Kampagnen werden verabschiedet, ohne an die (Aus)wirkung dieser auf den Verkaufspunkt zu denken. Erwartungshaltung und Erfüllungsgrad – die Differenz daraus entscheidet über Kundenzufriedenheit oder eben Unzufriedenheit.
Dabei gibt es vier mögliche Szenarien für die Befindlichkeit einer Marke:
- Wenn keine bis geringe Erwartungshaltung und ein korrespondierender Erfüllungsgrad, so ist die Marke «klinisch tot». Da hilft auch keine Agentur mehr.
- Wenn eine Erwartungshaltung geweckt wird, der Erfüllungsgrad aber sehr bescheiden ist, so liegt die Marke im «Wachkoma ». Das Werbeversprechen ist aufgesetzt und wird nicht erfüllt. Hier heisst es «zurück an den Start» und überlegen, was die Marke wirklich erfüllt.
- Wenn es eine geringe Erwartungshaltung gibt, aber einen hohen Erfüllungsgrad (die Leistung ist besser als erwartet), dann müssen Marken «wiederbelebt» werden. Wiederbelebung bedeutet: Agenturen rücken das Markenversprechen ins rechte Licht. Die Marke macht vieles gut, aber keiner weiss davon. Die Agentur küsst die Marke wach.
- Der Idealfall: Die hohe Erwartungshaltung wird erfüllt oder übertroffen. Dann ist die Marke «unsterblich». Der Preis rückt in den Hintergrund.
Die meisten Kunden und damit auch deren Agentur(en) bewegen sich im Quadranten «klinisch tot» – zu wenig Profil, kein klares Markenversprechen – und genau deshalb floriert Preiswerbung und treibt nicht nur dem Online-Handel die Umsätze zu.
Noch nicht am Ende
Der Weg in diese «Unsterblichkeit» der Marke ist kein leichter. Die Abkehr von billiger Preiswerbung hin zu Mehrwert ist der richtige Weg. Aber der erste Anbieter, der damit anfängt, verliert Umsatz … Deshalb ist die klassische Handelswerbung (noch) nicht am Ende.
Denn der Erfolg einer Marke hängt ganz wesentlich davon ab, ob das Unternehmen in allen seinen Aktivitäten im Sinne der Markenbotschaft handelt. Marken leben von ihrem eigentümlichen Erfolgsmuster, einem Image, das kein nur von der Werbung erzeugtes sein darf, sondern bei jedem Aufeinandertreffen mit Kunden bestätigt werden muss.
Quelle: Handelszeitung Nr.13, 27.März 2014, S.48-49